Schlüsselübergabe

Wieder eine dieser mehr schlaflosen Nächte, in denen ich kein Auge zubekomme. Das ganze Wochenende bin ich schon hier und rühre mich kaum vom Fleck. Nur ab und zu stehe ich auf und gehe ins Bad oder in die Küche.
Ich starre auf den Teppich vor mir und ich glaube, bald beginne ich die Fasern zu zählen. Das Muster hat sich schon so in mein Hirn eingebrannt, daß ich, sobald Montag ist, ihn herausreißen werde, um mir einen neuen zu kaufen.
Ich könnte eigentlich auch in meinem großen Bett liegen, aber ich habe Angst, mich mit der eigenen langen Kette im Schlaf zu erwürgen. Also hocke ich schon eine geraume Zeit auf dem Fußboden und starre den Teppich an.

Foto Anja Verhuelsdonk

Sonnabend in der Frühe hatte er schon recht zeitig neben mir am Bett gestanden und ich erwachte plötzlich - wie es so ist, als ich im Schlaf verspürte, nicht alleine zu sein. Erschrocken fuhr ich hoch und als ich ihn sah, sank ich erleichtert in mein Kissen zurück. Ich sagte Guten Morgen und er setze sich zu mir auf die Bettkante. In seiner Hand blitze der blanke Schlüssel, mit dem er fordernd vor meinen Augen hin und her pendelte. 
Ich stand auf und ging ins Bad. 30 Minuten Zeit für die morgendliche Toilette, den Frühstückskaffee und ein getoastetes Brötchen. 
Dann stellte ich mich fertig vor ihn, hielt ihm meine Arme hin, daß er mir die Armbänder umlegen konnte. Die Kette dazwischen hielt er sorgsam lang genug für mich, daß ich auch alleine bleiben konnte. Das gleiche an den Füßen.
Der Schlaf holte mich dann doch noch ein. Ich spüre, wie mich all die guten Geister verlassen und wirre Gedanken in meinem Kopf herumspuken. Wielange bin ich schon wach? 
Irgendwann sacke ich zusammen und schlafe ein. Was mag das nur für ein Bild sein, welches ich abgebe. Zusammengerollt, fast wie ein Stück zerknülltes Blatt Papier liege ich wie ein Häufchen Unglück am Boden und schlafe tief und fest. Als ob es hier kein Bett geben würden, keine Couch, nur den weichen Teppich unter mir. Um meinen nackten Körper herum winden sich die langen Ketten, die beim Gehen dieses ungewöhnliche Rasseln verursachen. Ich träume den größten Blödsinn aller Zeiten, wache inmitten des schönsten auf, krieche wie ein Tier auf allen Vieren zur Wand, an die ich mich lehne um gleich wieder einzuschlafen. Ich bin so müde.
Als er am Morgen in meine Wohnung kommt klebe ich förmlich im Keil zwischen Wand und Boden in der Ecke, das Gesicht zur Wand. Schutz suchend in der Einsamkeit meiner Träume und Stunden. Liebevoll deckt er mich mit seinem Körper zu und läßt mich noch eine Weile schlafen. 
Blümchen, grünes Gras und Bäumchen um mich herum, das Rauschen des Windes verzaubert mich und ich hüpfe wie eine fröhliche und übermütige Jungfer durch den Wald.
Immer wieder pustet er mir sanft ins Ohr, bis ich endlich aufwache. 
Ich weiß, daß er hier ist. Ich kann mich nicht bewegen. Er hat mir Schlaf die freien Meter der Kette so fest um meine Glieder geschlungen, daß sie meine Arme und Beine fest zusammen drücken. Nur noch einen Arm und ein Bein habe ich. 
Aber was macht das schon? Sein warmer Körper schmiegt sich an meinen Rücken. Sein Atem in meinem Nacken, die Arme um mich gelegt, eine Hand knetet meine Brust.
Er preßt sich noch weiter an mich, daß ich sein Glied zu spüren bekomme und fragt: "Und, was hast du gestern schönes gemacht?" 
Nichts? 
"Ich habe mich die ganze Zeit so sehr nach dir gesehnt, die ganze Zeit."
Dann schiebt er sich zwischen meine zusammengepreßten Beine, drückt mich dabei immer mehr gegen die Wand, daß sich das Muster der geriffelten Tapete in meine Haut frißt und ich kaum noch atmen kann. 
Die Wucht seiner Lust, Gier und Macht schmettert mich fast in die Mauern hinein. Aus meinem Mund nur noch ein Stöhnen, ein Flehen, ein Bitten. 
"Wie ich mich gesehnt habe nach dir!"
Dann springt er plötzlich auf, zieht sich wieder an und wirft mir den Schlüssel zu. Ich höre seine Schritte, wie die Tür zuknallt und er ist weg! 
Mir tut alles weh! Kaum fähig bin ich, mich zu bewegen. So liege ich eine halbe Ewigkeit noch immer in der Ecke zwischen Wand und Boden. 
Als ich erwache ist es bereits hell draußen. Die Sonnenstrahlen, die mich durch das Fenster erreichen, wärmen meinen klebrigen Körper. Meine Haut riecht nach seinem Schweiß und seiner Männlichkeit. 
Ich versuche, mich mit Händen und Füßen von der Wand abzustoßen, bis ich mich mühevoll aufrichten kann. Die freien Meter der Kette, die sich um meine Arme schlingen fallen und ich kann meine Beine befreien. Ich robbe zum Schlüssel und öffne die Schlösser. 
Die ersten Schritte zum Bad wanke ich und ich merke, wie mir etwas zwischen den Beinen herunterläuft. Mein Gott! 
So muß ich wieder an ihn denken und im Vorbeigehen hänge ich den Schlüssel ans Brett, wo er hingehört. Bis nächste Woche!

© by V.S. März 2001